Donnerstag, 20. September 2007

Intuitive Fragmentierung einer Situation

Seit meinem letzten Post ist einige Zeit vergangen, aber das soll sich nun aendern. Ich hoffe, demnaechst wieder mehr Zeit fuer einige Artikel zu haben.


Eine interessantes Thema der Neurowissenschaften ist das der Zusammenspiel von rationalem, "bewusstem" Denken und der Intuition.
Wie die Intuition arbeitet, habe ich bereits in einem fruheren Artikel abgehandelt.

Link: Menschliche Intuition

Von welchem Wesen unsere Logik ist, laesst sich schwierig sagen. Ob sie sich aus Mechanismen der Intuition, die zu absoluten Werten konvergieren koennen, entsteht und wir so zu mathematischen Gedankenmodellen faehig sind, die ohne Zweifel 100%ig exakt sind oder ob es wirklich eine einem Computer aequivalente cerebrale Struktur gibt, die anders funktioniert als die Intuition, ist heute nicht meine Thema.
Um keine Kompromisse einzugehen, behandele ich unsere Rationalitaet deswegen einfach als (mathematische) Logik, als die wir sie normalerweise wahrnehmen, ohne genauer zu klaeren, wie sie erzeugt wird.

Die Sprache der Rationalitaet ist die Mathematik. Wir koennen, ausgehend von bestimmten Vorraussetzungen, voellig analytisch weitere Aussagen treffen, die aus diesen Vorraussetzungen folgen.

Mathematik ist objektiv. Definiert man bestimmte Axiome, koennen daraus feste Zusammenhaenge bewiesen werden. Sie sind niemals in sich widerspruechlich.

Die berechtigten Einwaende sind dann aber:

Warum kommen wir oft genug zu falschen Ergebnissen, selbst wenn wir unseres Wissens nach nur logisch geschlussfolgert haben?

Wenn Logik mathematisch und Mathematik objektiv ist, folgt daraus nicht, dass wir ebenfalls objektiv daechten, wenn wir nur Logik in unseren Gedanken gelten liessen?

Genau das taeten wir auch, aber nicht ohne Grund steht der vorangegangene Satz im Konjunktiv. Der Versuch, voellig analytisch zu denken, scheitert an der begrenzten Rechenkraft unseres Gehirns.
Es kann zwar mit mindestens 1000-facher Geschwindigkeit arbeiten wie aktuelle Supercomputer, aber selbst das reicht nicht aus.
Nichts ist schwieriger, als die Berechnung der Realitaet. Selbst Supercomputer tun sich schwer damit, das Wetter ueber einige Tage einigermassen genau vorherzusagen. Dabei sind sie inzwischen in der Lage, mehrere hundert Billionen Rechenschritte pro Sekunde zu bewaeltigen.

Woran das liegt, laesst sich leicht an einem Schachspiel nachvollziehen. Solange man nur einen Zug weit denkt, kann man das Geschehen auf dem Brett noch ganz gut ueberblicken. Aber schon bei zwei Zuegen Planung in die Zukunft entstehen eine Vielzahl von Varianten, wie die Figuren in Zukunft positioniert sein koennten. Naemlich zunaechst mal alle Varianten fuer den ersten Zug und dann noch fuer jeden einzelnen dieser Zuege alle Moeglichkeiten eine weitere Figur zu setzen.
Das Wachstum an potenziellen Spielsituationen erfolgt also exponentiell. Angenommen, es gaebe in einem Schachspiel bei jeden Zug durchschnittlich 20 Varianten, irgendeine Figur irgenwohin zu setzen(im Rahmen der Regeln), dann ergaeben sich fuer 2 Zuege schon 20x20, also 400.
Wenn ein Schachspiel insgesamt 50 Zuege andauert, waeren das ungefaehr 20^50 (20 hoch 50) moegliche Spielverlaeufe. Selbst ein Computer mit der Rechenkapazitaet unseres Gehirns, wuerde allerdings laenger dafuer rechnen als das Universum alt ist!

Und weil die Realitaet viel komplexer ist als ein Schachspiel, laesst sie sich noch viel weniger vorrausberechnen.
Wettersimulationen sind aus diesem Grund nur grobe Modellrechnungen, die zu entsprechend ungenauen Ergebnissen fuehren. Viele Details werden ausgelassen, um nicht unnoetig viel Rechenzeit zu verbrauchen. Je nach dem, mit welcher Genauigkeit welche Werte berechnet werden sollen, werden nur die Parameter beachtet, die einen angemessen grossen Einfluss auf diesen Wert haben.

Zwar ist das menschliche Gehirn viel leistungsfaehiger als heutige Computer, aber durch das exponentielle Wachstum an Komplexitaet bei linearer Zunahme an Parametern stellt die Realitaet unser Denkorgan schnell vor das selbe Problem wie den Wettersimulator oder einen Schachcomputer.

Wir sind also ebenfalls auf vereinfachte Rechnungen angewiesen, bzw. vereinfachte logische Schlussfolgerungen.


An diesem Punkt setzt unsere Intuition ein. Durch intuitive Entscheidungen vereinfachen wir so weit unsere uns zugaenglichen Informationen, bis wir komfortabel genug mit diesen "rechnen" koennen.
Wie in meinem Artikel ueber die menschliche Intuition erlaeutert, verhaelt sich diese nach einer unterbewussten neuronalen Representation empirischer Daten ueber Auswirkungen von Reaktionen im Laufe des Lebens und genetischen Anlagen die sich im Zuge der Evolution gebildet haben.

Link: Menschliche Intuition

Da Intuitionen lediglich auf Statistiken beruhen, greift ihre Ausfuehrung nur auf Erwartungswerte zurueck und sie sind genaugenommen nichts anderes als pavlovsches Verhalten. Je komplexer eine neue Situation, desto unwahrscheinlicher ist es auch, bereits aehnliches erlebt zu haben. Damit sinkt auch die Trefferquote fuer rein intuitives Verhalten. Wenn der Hund auf den Strassen rumstreunt und die Kirchenglocke hoert, sabbert er mit ziemlicher Sicherhiet umsonst.

Ein effektiverer Einsatz von Intuition waere die Fragmentierung von Situationen. Verschiedene Merkmale der momentanen Umwelt wurden vielleicht schon in anderem Kontext erlebt. Je einflussreicher jedes dieser Fragmente in den jeweiligen Erfahrungen war, desto besser. Das steigert die Wahrscheinlichkeit, dass die Intuition bei einem einzelnen Fragment richtig liegt.

Aber was bringt nun diese intuitive Fragmentierung?

Jetzt kommen wir wieder zur Logik. Ein Fragment steht fuer ein temporaeres Axiom, dass nun in einer rationalen Schlussfolgerung verwendet werden kann, um die richtige Reaktion zu erschliessen. Temporaer ist das Axiom, weil jede Erfahrung die Intuition beeinflusst.
Eine Reaktion bezeichne ich als richtig, wenn sie moeglichst gut zu dem beabsichtigten Ziel fuehrt.

Jedes Fragment besitzt ein Gewicht, das seiner Relevanz in der Situation entspricht. Von den Fragmenten ausgehend kann es zum mathematischen, also objektiven Ergebnis kommen, indem mit ihnen gerechnet wird, bzw. "logisch gedacht". Dieses muss nicht durch eine mit Hilfe der Fragmente gebildeten kausalen Kette entstehen, sondern kann sich wieder aus einer Statistik ergeben. Der Grund dafur waere, dass die einzelnen Fragmente nicht ausreichend oder nur teilweise kausal in Verbindung gebracht werden koennen und so bei vollem Bewusstsein mehr durch ihr Gewicht miteinander konkurrieren, so dass es zu einer Art demokratischem Beschluss kommt.
Gerade bei widerspruechlichen Intuitionen der Fragmente kommt dieses System zu tragen. Ich gehe davon aus, dass bei beinahe jeder Entscheidung sowohl kausale, als auch statistische Verfahren zur Auswertung der Fragmente verwendet werden.

Objektiv ist dabei natuerlich trotzdem nicht der gesamte Denkprozess, sondern nur der rationale Teil. Die Fragmente fuer sich sind nach wie vor Produkte von Intuition. Deren Unsicherheitsfaktoren gehen deshalb auch wieder in das Endergebnis ein. In vielen Faellen ist das aber immer noch vorteilhafter, als wenn man seiner Intuition komplett das Ruder ueberliesse.

Doch das gilt nicht unbedingt. Ich habe mal ueber eine Studie gelesen, bei der erfahrene Broker und Laien in selbst zusammengestellte Fonds investieren sollten. Im Durchschnitt hatten die Laien am Ende der Studie ein leicht besseres Geschaeft gemacht als die Broker. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie die vermeintlich rationale Analytik, die Broker zu ihrem Vorteil nutzen wollten, mehr Risiken bergen koennen als die intuitive Wahl der Laien.

Eine zwanghafte Rationalisierung der Gedanken ist aus diesem Grund nicht unbedingt vielversprechend, weil sie leicht zu logischen Fehlern fuehrt.
Vor dem Hintergrund der intuitiven Fragmentierung ist auch leicht zu begreifen, warum es besser sein kann, "nach Gefuehl" Entscheidungen zu treffen. In Situationen, bei denen es schwierig ist, kausale Zusammenhaenge zwischen Fragmenten dieser Situation zu erkennen, kann die Wahrscheinlichkeit, stattdessen Korrelationen miszuinterpretieren, groesser sein, als die Wahrscheinlichkeit, dass einen die pure Intuition truegt.